Anmerkung: Leider wurden die Formatierungen nicht übernommen. Ich hoffe, man kann es trotzdem lesen.
Strukturvertrieb im Finanzbereich – die große Chance?
„Wie du vielleicht mitbekommen hast, arbeite ich seit geraumer Zeit im Bereich Vermögensaufbau, Steuervorteilsicherung und Altersvorsorge. Wir expandieren im Moment verstärkt im Bereich Buxtehude [Ort v. Verfasser geändert] und suchen noch Führungskräfte, welche jeweils vier- bis sechsköpfige Teams leiten. Deine Aufgaben wären insbesondere die Koordination, Einarbeitung und Motivierung deiner Mitarbeiter. So kannst du dir nebenberuflich etwas Ernsthaftes aufbauen, was sich nebenbei auch gut im Lebenslauf macht.“
So kam ich als damaliger junger Student einer völlig anderen Fachrichtung erstmals mit Multi-Level-Marketing beziehungsweise einem Strukturvertrieb in Berührung. Ich hatte zuvor noch nie von diesem System gehört. Ich möchte in diesem Artikel weniger das Multi-Level-Marketing als solches erklären, sondern vielmehr meine persönlichen Erfahrungen im Strukturvertrieb eines Finanzdienstleisters mit euch teilen. Erstaunlicherweise stellten sich meine Erfahrungen als nahezu identisch mit denen anderer „Strukkis“ aus verschiedenen Finanzunternehmen heraus. Für unerfahrene Leser in diesem Bereich empfehle ich als Grundlage die Lektüre des passenden Wikipediaartikels. Alle kursiv und in Anführungsstriche gesetzte Worte sind Schlüsselbegriffe des Multi-Level-Marketings, die in ihrer Bedeutung nie völlig falsch verwendet werden, jedoch dem Aufbau einer Illusion zur Täuschung vor wahren Gegebenheiten dienen.
Zurück zur Ausgangssituation. Dort stand ich also auf der Suche nach einem Nebenjob, den ich insbesondere zur Verbesserung meiner Perspektiven am zukünftigen Arbeitsmarkt suchte. Meine naturgemäße Skepsis und mein als Frage formulierter Einwand, wie so eine Arbeit denn ohne jegliches Wissen in dem Arbeitsbereich möglich sei, wurde mit einem „Du wirst natürlich intensiv und umfassend geschult und eingearbeitet“ entkräftet. Ich bin schon immer eine erfolgsorientierte und ehrgeizige Persönlichkeit gewesen. Die geschilderte Stellenbeschreibung sprach meine Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Themengebieten und Erfahrungen an. Hungrig auf Karriere und Geldverdienen, jedoch noch reichlich unerfahren, war meine Neugier geweckt.
Und so traf ich mich noch einmal in einem offizielleren Rahmen mit meinem zukünftigen „Ausbilder“, auch Strukturhöherer beziehungsweise „Strukki“ genannt. Wir lernten uns schnell kennen und mir wird die ein oder andere „Personalerfrage“ gestellt, welche - wie sich nachher recht schnell rausstellte - weniger zum Testen und Selektieren etwaiger Mitarbeiter, als vielmehr zur Aufrechterhaltung der Illusion, es handele sich dabei um eine gefragte und zahlenmäßig limitierte Arbeitsstelle, eingesetzt wurden. Schnell waren wir beim „Du“. Diese jugendhafte Lockerheit gefiel mir. Dass diese nur einen weiteren Baustein des Systems Strukturvertrieb darstellt, war mir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht bewusst. Des Weiteren wurde mir das Vergütungssystem erklärt, ohne dabei als Strukturvertrieb bezeichnet zu werden. Dabei wurde mit Zahlen gearbeitet, die für mich als Studenten unglaublich groß erschienen. Erstmals war von „Beratung“ (anstatt Vertrieb oder Verkauf) die Rede. Bezahlt wurde jedoch nicht für „Beratungs“-, sondern ausschließlich für Verkaufsleistungen. Der gesamte Gesprächsaufbau wurde immer wieder mit Elementen des Eingangszitats gepickt, so dass alles sehr einfach und schlüssig, insbesondere aber attraktiv erschien. Trotz meiner Unerfahrenheit zu der Zeit war ich nicht naiv und mir bewusst, dass außerordentliche Geldsummen nicht einfach mal so zu verdienen sind. Daher halbierte ich die von meinem Strukki genannte Anzahl an Vertragsabschlüssen und die daraus resultierenden Provisionssummen und stellte fest, dass das immer noch eine echt beneidenswerte Summe ergab. Und ganz nebenbei konnte ich mir ja „nebenberuflich etwas aufbauen“, was hinterher immer mehr abwirft. Schlussendlich hatte ich nichts zu verlieren und Probieren geht bekanntlich über Studieren.
Das Einstiegsseminar - die nächste Station meiner „Karriere“ im Multi-Level-Marketing. Dieses fand in Seminarräumen eines gediegenen Tagungsortes statt – inklusive Frühstück, edles Mittags-Menü und Anzugpflicht aufgrund eines „geschäftlichem Umfeld“. Diese Umgebung beeindruckte mich verständlicherweise und die scheinbare Professionalität steigerte meine Entdeckungslust. Kosten waren von den Seminarteilnehmern selbst zu tragen. Diese waren bunt zusammengewürfelt – jüngere Studenten, Schüler, aber auch ältere Teilnehmer. Frauen und Männer waren gleichermaßen vertreten. Bei einigen Teilnehmern fragte ich mich aufgrund ihrer äußeren Erscheinung und ihren Artikulationsfähigkeiten jedoch recht schnell, wie diese auch nur annäherungsweise im Vertrieb von Finanzdienstleistungen tätig sein sollten. Wie auch immer, war ja nicht mein Bier.
Wir trudelten in den Veranstaltungsraum ein. Laute Partymusik („Here’s my key, philosophy, a freak like me just needs infinity…”) machte Stimmung und für den richtigen Wohlfühlfaktor war direkt gesorgt. „Infinity“, zu Deutsch Grenzenlosigkeit. Ein passendes Stichwort für die Philosophie des Strukturvertriebs. Die Musik lief aus und wir wurden von einem sympathischen Herrn in edlem Anzug, Manschettenknöpfen und Einstecktuch begrüßt. Diese Kombination aus Lockerheit und (scheinbarer) Seriosität wirkte. Nach kurzer Erläuterung der Tagesordnung wurde der erste Redner angekündigt:
„Unser erster Redner saß vor vier Jahren genau auf denselben Stühlen, auf denen Sie jetzt auch sitzen. Mit nur 22 Jahren hat er einen vorbildlichen Karriereaufstieg hinter sich und ist in Stufe 4 angekommen! Sein maximaler Verdienst in einem Monat betrug
30.000 €! Wie in seiner Freizeit als Triathlet ist er auch auf der Straße mit seinem Mercedes SL schnell unterwegs! Und jetzt begrüßen Sie mit mir mit einem tosenden Applaus unser Nachwuchstalent Johannes Hofschmidt [Name von Verfasser geändert]!“
...Okay ... Etwas befremdlich wirkte diese Ankündigung schon. Auf der einen Seite musste ich schmunzeln über diesen Einstieg und fragte mich, wo ich hier gelandet bin... Aber irgendwie war es auch erfrischend anders. Das „Nachwuchstalent“ erschien mir auf einmal wie ein Halbgott. 30.000 € in einem Monat! Mit 22 Jahren! ... Wow! Dass diese Art der Präsentation zum Strukturvertrieb dazugehört wie das Salz zur Suppe war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst.
Es folgten mehrere Vorträge zu verschiedenen Themen – die Ankündigungen der Redner verliefen stets nach dem gleichen Schema. Den Einstieg bildeten Informationen zum demografischen Wandel, zu den Nachteilen der umlagefinanzierten staatlichen Rentenversicherung und erste Ausblicke auf Finanzprodukte, welche die Rentenlücke schließen können. Der Markt schien existent zu sein. Nach einer kurzen Pause, in der ich von meinem „Strukki“ betreut wurde, folgten die letzten Vorträge, welche der (wenn auch einseitigen) Wissensvermittlung dienten: Private Krankenversicherung und Berufsunfähigkeitsversicherung. Ich wurde erstmals mit den starren aber guten Vertriebswerkzeugen konfrontiert: Schaubilder, Lebenslinien, Illustration von Sachwerten, die nahezu jedem Menschen wichtig sind und welche durch die Gefahren des Lebens bedroht sind. Verlustängste und die Bedürfnisweckung nach Sicherheit – das zieht bei den Deutschen! Danach dachte ich mir: Dumm, wer da noch rein gesetzlich versichert ist. Nach der Mittagspause waren die Vorträge etwas anderer Natur. Das Vergütungssystem wurde noch einmal erklärt und ich merkte, wie die genannten Summen ihre Wirkung in meinem Gehirn abermals entfalteten. Der Referent befragte zwei, drei „Strukkis“, was ihr höchster Verdienst war – Frau Merkel wäre neidisch geworden. Zwei, drei Abschlüsse im Monat und noch den ein oder anderen meiner Mitarbeiter bzw. „Geschäftspartner“ - das wird ja wohl möglich sein! Wieder halbierte ich die genannten Provisionssummen, um realistisch bleiben zu können. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, dass ich potentielle Kunden zugewiesen bekommen würde. Vom Abgrasen meines persönlichen Umfeldes, dem sogenannten warmen Markt, wusste ich bis dato nichts. Im Anschluss wurden die Vorteile der „Selbstständigkeit“ im Unternehmen erläutert - wie in den anderen Themenbereichen wieder mit einer beispielhaften, den Laien überzeugenden Einseitigkeit. Es wurde uns klar gemacht, welches Schicksal an horrenden Abgaben uns blühen würde, wenn wir in ein Angestelltenverhältnis einsteigen würden, beziehungsweise in diesem verbleiben würden. Es erschien mir so, als seien Arbeitnehmer grundsätzlich zu bedauern. Ohne vermeintliche Risiken nebenberuflich starten und anschließend in die hauptberufliche Selbstständigkeit! Klang gut! Dass die Risiken tatsächlich weniger im wirtschaftlichen, jedoch dafür umso mehr im sozialen und persönlichen Bereich liegen, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst... Wie auch? Den Abschluss bildete ein Vortrag über die Incentives, welche im Strukturvertrieb Gang und Gebe sind. Der sympathische Herr mit dem schicken Anzug, Manschettenknöpfen und Einstecktuch erklärte uns die Grundidee von Incentives und präsentierte Beispiele mit Hilfe gutgemachter Videos und Bilder: Reisen, besondere Erlebnisse und Tagesausflüge. Oft hatten diese Abenteuercharakter: Das spricht insbesondere erfolgs- und erlebnisorientierte Menschen an. „Work hard, play hard!“ ist ein Motto, dem ich noch öfters in diesem System begegnet sein werde. Es folgte mein persönlicher Höhepunkt des Tages: Der sympathische und insbesondere herausragend charismatische Herr sprang ohne Vorwarnung mit einem lauten Knall auf einen Tisch der ersten Reihe. Die Seminarteilnehmer schreckten auf. „ES IST ALLES MÖGLICH, WENN MAN BEI UNS GAS GIBT!“ Ich war hellwach – er machte das echt gut. Er sprang wieder agil vom Tisch herunter und holte ein etwa 0,5 Zentimeter dickes Bündel pastell-roter Scheine hervor, welches mit einer überdimensionalen goldenen Büroklammer zusammengehalten wurde. Okay dachte ich, jetzt wird es aber lächerlich. „Für diese Büroklammer aus echtem Gold müssen Sie nur [x] Einheiten in [x] Monaten schreiben und sie hilft Ihnen dann, Ihr vieles Geld, was Sie bei uns verdienen, zusammenzuhalten.“ Im Anschluss präsentierte er seine Armbanduhr der wohl populärsten Marke für hochpreisige Luxusuhren. Er fragte seine Kollegen, wie viel die Uhr denn wert sei. – „Das gleiche Modell gibt es für ca. 17.000 € im Handel.“ „Diese Uhr dürfen Sie Ihr eigen nennen, sobald Sie Stufe vier erreichen! Ich würde Sie sie ja gerne von Nahem betrachten lassen, aber dafür ist sie einfach zu teuer!“ Es wurden noch einige Incentives vorgeführt, welche man schon mit geringerem Aufwand sein eigen nennen kann: Edle Kugelschreiber und Ledermappen oder silberne und goldene Anstecker für den Anzug. Ich fragte meinen Strukki, ob man diese Gegenstände auch verkaufen beziehungsweise einschmelzen könne. Doch das ist anscheinend nicht gern gesehen, denn diese gelten als Statussymbole und Erkennungsmerkmale unter ihresgleichen, wie weit es der jeweilige Mitarbeiter schon geschafft hat. Kurz vor Abschluss wirft ein Referent noch die Frage ein, ob so viel Luxus und materieller Reichtum denn verwerflich seien. Das paralysierte Kollektiv der Seminarteilnehmer entgegnet mit einem entschiedenen „Nein“, denn für diesen Erfolg hat man schließlich hart und ehrlich gearbeitet! Der frühe Abend brach an und das Seminar neigte sich dem Ende zu. Ich fühlte mich wie in einer Art Rausch – hochmotiviert, den erfolgreichen Referenten nachzueifern und selber Erfolg zu haben! Gehirnwäsche per excellence! Gleichzeitig stieß mich jedoch die extreme vorherrschende Fixierung auf materielle Dinge als ausschlaggebender Punkt beruflicher Tätigkeit ab. Ich kommunizierte meine Bedenken und mir wurde versichert, dass diese Aufmachung nur der Motivierung von Menschen mit stark monetärer Orientierung diene und keine ausschlaggebende Rolle spiele. Ich akzeptierte die Antwort vorläufig und blieb am Ball, denn meine Neugier war noch lange nicht gestillt.
Mein weiterer Werdegang bestand aus verschiedenen Elementen: Drei Grundkurse, die jeweils einen ganzen Tag dauerten, wöchentliche zweistündige Meetings mit dem gesamten Team und die Treffen mit meinem „Strukki“, welche insbesondere zum individuellen Coaching und Absprechen weiterer Vorgehensweisen dienten. Diese Elemente waren perfekt aufeinander abgestimmt, so dass die Verdrehung von Tatsachen, das Aufbauen einer Illusion und das Einbinden neuer Mitarbeiter in das soziale System Strukturvertrieb effektiv vorangetrieben werden konnten. Die Grundkurse gefielen mir sehr gut, da mir dort Einblick in einen Themenbereich gewährt wurde, der für mich bis dato absolutes Neuland war: Steuern, Risikoabsicherung, Altersvorsorge und noch viele weitere Themen wurden behandelt. Leider war der zeitliche Rahmen zu straff, um tiefergehendes Wissen zu vermitteln. Dieses - so wurde mir versichert - würde ich mir in den regelmäßigen Meetings aneignen können.
In den wöchentlichen Meetings und den Treffen mit meinem „Strukki“ lernte ich das zentrale Verkaufsinstrument des Strukturvertriebs kennen: Einen Fragebogen für das Kundengespräch, in welchen dieser zentrale Fragen zur finanziellen Situation und seinen Wünschen und Zielen beantwortete. Bei diesem Fragebogen handelte es sich um ein hochgradig effektives Verkaufswerkzeug, welches insbesondere der Manipulation des Kunden unter dem Deckmantel der „kostenlosen Beratung“ diente. Bedürfnisweckung und das geschickte Einfädeln von Kaufanreizen waren vom laienhaften Kunden nicht von einer „ganzheitlichen und bedarfsoptimierten Beratung“ zu unterscheiden. Gleichwohl sollte mit geschickt platzierten Fragen weiteres Kundenpotential aus dem Bekanntenkreis des jeweiligen Kunden im Sinne von Empfehlungsmarketing generiert werden. Der Umgang mit diesem Fragebogen wurde mit systematischen und feststehenden Formulierungen geübt, wobei komplette Kundengespräche als Leitfäden zur Verfügung standen. Dem Kunden wurde der Fragebogen als Basis eines kostenlosen umfassenden Gutachtens eines unabhängigen Finanzinstituts präsentiert, welches individuelle Förder- und Gewinnmöglichkeiten differenziert ermittele. In Wahrheit war dieses Gutachten nichts weiter als ein Darstellungsprogramm mit simplen Berechnungen, welches die Angaben des Kunden veranschaulicht und auf dessen Basis der „Berater“ seriös wirkende Produktempfehlungen aussprechen konnte.
Den neuen Verkäufern wurden diese Verkaufsinstrumente nicht sonderlich anders vorgestellt als den Kunden, da im Strukturvertrieb neue Verkäufer erst einmal auch als potentielle neue Kunden anzusehen sind, welche ebenfalls mit Produkten eingedeckt werden können. Zudem muss der Nachwuchsverkäufer davon überzeugt sein, dass er mit seiner „Beratung“ seinen Freunden, Familienmitgliedern und Bekannten etwas Gutes tut. Denn das ist der entscheidende Punkt des Multi-Level-Marketings, welchen ich erst einige Zeit nach meinem ersten Kontakt mit dem Strukturvertrieb kennenlernte: Ich bekomme keine potentiellen Kunden zugewiesen, sondern muss diese aus meinem persönlichen Umfeld akquirieren. In meiner Zeit im Strukturvertrieb hatte ich von da an mit dem inneren Konflikt zu kämpfen, mein persönliches Umfeld und dessen Vertrauen in meine Loyalität unter dem Vorwand der nett gemeinten „Beratung“ zu missbrauchen, um dieses mit Finanzprodukten zu versorgen, deren Qualität und Sinnhaftigkeit ich gar nicht einzuschätzen vermochte. Mir wurde versichert, dass ich nach einiger Zeit im Strukturvertrieb über ein Wissen verfügen würde, welches dem regulärer Versicherungskaufleute überlegen sei. Allerdings liegt es in der Natur des Strukturvertriebs, dass dieser nur effizient ist, wenn möglichst schnell die Struktur vergrößert wird, so dass eine gute vorangestellte Ausbildung auch vor dem Hintergrund der ausschließlichen Bezahlung auf Provisionsbasis jeglicher Realität entbehrt. Ich merkte, wie ich gute Freunde nicht mehr als solche sah, sondern vielmehr als Möglichkeit, an ihnen Geld zu verdienen. Mit meinem „Strukki“ erstellte ich eine Liste mit allen Personen, die ich kannte. Ich sollte an Kommilitonen, Freunde aus dem Sportverein, Familienmitglieder, Arbeitskollegen, Bekannte vom Feiern und viele weitere denken - mein gesamtes persönliches Umfeld. Das Adressbuch meines Handys und meine Freundeslisten in sozialen Netzwerken lieferten dafür ausreichend Informationen. Diese Auflistung wurde als mein „Potential“ betitelt. Da ich in Zeiten, in denen es noch keine Textmessenger gab, nur mit wenigen Menschen Mobilfunknummern austauschte, war mein Adressbuch dementsprechend karg gefüllt. Kein Problem - mein "Strukki" brachte mich dazu, in einem sozialen Netzwerk den Verlust meines Handys via Statusreport vorzutäuschen und meine Internet-Freunde so dazu aufzumuntern, mir ihre Handynummer per Privatnachricht zukommen zu lassen. Aus diesem wurden besonders geeignete potentielle Kunden und auch Mitarbeiter beziehungsweise „Geschäftspartner“ ausgewählt. Die potentiellen Kunden wurden telefonisch kontaktiert und mit standardisierten Formulierungen und psychologischen Tricks wie Alternativfragen zu einem Termin gedrängt:
„[...] Ich bin seit einiger Zeit selbständig und baue mir nebenberuflich jetzt etwas im Bereich Vermögensbildung, Steuervorteilen und staatlich geförderter Altersvorsorge auf. Ich habe da an dich gedacht, da du als mein Freund auch von 500-2000 € jährlicher Ersparnis profitieren sollst. Wann sollen wir uns mal zusammensetzen? Samstag oder Sonntag?“